Unsere Sinne - Unser Tor zur Welt
Auf den Geschmack gekommen
Süßes verheißt schnelle Energie, Bitteres signalisiert: Vorsicht, könnte giftig sein! Unser Geschmackssinn kombiniert Genuss mit Alarmanlage – und trägt eine große Portion zur Lebensfreude bei.
Wenn wir uns „etwas auf der Zunge zergehen lassen“, ist klar: Hier bereitet etwas höchsten Genuss! Doch unser Geschmackssinn dient nicht nur ausgeprägten Gaumenfreuden. Er entwickelte sich evolutionär betrachtet, um unsere Sinne für wertvolle Nahrung zu schärfen. Tatsächlich sichert er tagtäglich sogar das Überleben. Köstlich, grundsätzlich essbar, vergammelt oder sogar tödlich giftig? Wissen wir dank Geschmackszellen innerhalb von wenigen Sekunden.
Untrennbare Einheit
Forscher haben herausgefunden, dass das, was wir als geschmackliches Aroma erleben, zu 80 Prozent über die Riechrezeptoren wahrgenommen wird. Genau wie die Geruchswahrnehmung, zählt der Geschmackssinn zu den chemischen Sinnen. Sowohl die Riechzellen, als auch die Geschmacksrezeptoren nehmen molekulare Bestandteile der Nahrung als sinnlichen Reiz auf und leiten ihn als Signal ans Gehirn weiter. Wer schon einmal versucht hat, mit Stockschnupfen ein feines Vier-Gänge-Menü zu genießen, kennt wahrscheinlich das Phänomen: Ob Rindersteak oder Crème Caramel – mit verstopfter Nase schmeckt irgendwie alles gleich. Gerade jetzt in der Corona-Krise müssen Erkrankte die Einheit von Riechen und Schmecken am eigenen Leib erfahren: Der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn tritt laut Studien* bei 65 Prozent der Covid-19-Patienten auf und ist damit das häufigste Symptom. Schmecken oder riechen Sie nichts mehr oder nur noch sehr vermindert, sollten Sie das also unbedingt mit dem Arzt besprechen.
Von süß bis bitter
Süß, sauer, salzig, bitter und herzhaft-würzig (auch umami genannt): Nur diese fünf Aromen können die Geschmackspapillen, kleine Erhebungen auf der Zungenschleimhaut, die die Geschmacksknospen mit den Sinneszellen enthalten, unterscheiden. Wenig bekannt ist die Tatsache, dass „nur“ etwa 75 Prozent der Geschmacksknospen auf der Zunge liegen. Der Rest findet sich in Gaumen, Rachen, Kehlkopf und oberer Speiseröhre. Die Botschaft sämtlicher Geschmackszellen ist seit Jahrtausenden prinzipiell unverändert: Süß? Lecker, nahrhaft und äußerst begehrt, weil Zucker Energie liefert. Sauer? Könnte unreif oder verdorben sein. Salzig? Hier steckt Natrium drin, wichtig für Flüssigkeitshaushalt und Muskelfunktion. Bitter? Achtung, ein Hinweis auf Giftstoffe, nur mit Vorsicht genießen. Und umami? Steckt in eiweißreichen Lebensmitteln wie Fleisch und Käse, stärkt also Muskeln und Knochen.
Geschmacksvorlieben - Erblich oder erlernt?
Während dem einen vor allem beim Gedanken an Schnitzel und Leberwurstbrot das Wasser im Mund zusammenläuft, leckt sich der nächste beim Anblick von Spinatquiche und Kürbissuppe die Lippen. Zumindest zum Teil legen die Gene solche individuellen Gelüste fest, wie israelische Forscher** feststellen konnten. Andererseits prägen aber auch unsere frühen Erfahrungen, was wir besonders mögen. Experten gehen davon aus, dass ein möglichst bunter Speiseplan in der Schwangerschaft auch das Baby zu einem variablen Esser macht, weil das Fruchtwasser unterschiedliche Aromen annimmt. Und später landen bei gestillten Kindern über die Muttermilch ebenfalls Geschmacksnoten des mütterlichen Menüs beim Kind. Immer das Gleiche auftischen, womöglich noch stark bearbeitete Fertigmahlzeiten – dadurch können die Geschmacksknospen regelrecht verkümmern. Das beste Training, das Sie Ihren Schmeckzellen verordnen können, heißt deshalb abwechslungsreich frisch kochen und viel experimentieren, etwa mit Gewürzen, Kräutern und exotischen Zutaten. Dann ist lebenslanger Genuss garantiert.
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* Real-time tracking of self-reported symptoms to predict potential COVID-19 | Nature Medicine, www.nature.com/articles/s41591-020-0916-2
** Nature Genetics (Bd. 34, S. 143), Studie von Doron Lancet et. al. vom Weizmann-Institut für Wissenschaften in Rehovot